Autor: Michael Reiter
Veröffentlichung: 10.04.2022
Interoperabilität ist eine der großen Herausforderungen in der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Der „Nationalen Agentur für Digitale Medizin“ gematik hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Auftrag erteilt, dafür zu sorgen, dass die unterschiedlichen IT-Anwendungen im Gesundheitswesen miteinander kommunizieren können. Ein Expertengremium soll hierbei Unterstützung leisten. ArchivAktiv sprach mit einer Expertin aus dieser Runde.
Diese Bezeichnung ist ein Zungenbrecher: Mit der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) will das BMG den Informationsfluss zwischen den IT-Lösungen in unserer Branche sicherstellen. Die Zuständigkeit für diese Aufgabe delegiert die Verordnung an die gematik. Als nationale Koordinierungsstelle hat sie die nötigen organisatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen und insbesondere die Anforderungen an Schnittstellen zu regeln
Für die Prüfung, welche „Standards, Profile und Leitfäden noch bestehende Brüche im Austausch von Gesundheitsdaten in Deutschland schließen können“ sowie bei der Entscheidung über deren verbindlichen Einsatz in künftigen Empfehlungen, holt sich die gematik Unterstützung von dem neu einberufenen Expertengremium: Sieben Fachleute hatte die gematik im Einvernehmen mit dem BMG nominiert. Im Dezember kamen die Zusagen.
Die Mitglieder dieses Gremiums sind: Dr. Anke Diehl, Chief Transformation Officer (CTO) des Universitätsklinikums Essen; Simone Heckmann, Geschäftsführerin (CEO) bei Gefyra; Prof. Dr. Siegfried Jedamzik, Geschäftsführer der Bayerischen TelemedAllianz (BTA); Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für digitale Medizin und Interoperabilität der Universitätsmedizin Berlin; Dr. Susanne Ozegowski, Geschäftsbereichsleiterin Unternehmensentwicklung der Techniker Krankenkasse (TK); Jörg Studzinski, Projektleiter Digitalisierung bei Agaplesion Mitteldeutschland, sowie Prof. Dr. Martin Sedlmayr, Professor für Medizinische Informatik an der TU Dresden.
Prof. Thun, von der Gruppe zur Vorsitzenden gewählt, erläuterte die anstehenden Aufgaben: „In den nächsten 18 Monaten wollen wir zusammen die notwendigen Weichen für mehr verbindliche und international anerkannte Standards im deutschen Gesundheitswesen stellen und mehr Gesundheit und Forschung durch mehr Team play fördern“. Dafür, so die Expertin weiter, werde man gemeinsam sektorenübergreifend die relevanten Hürden für Versorgung, Public Health und Forschung identifizieren und die Erkenntnisse in ein Arbeitsprogramm überführen.
Es gibt kein Enddatum für das Gremium. Die Nominierung der Expert*innen gilt eineinhalb Jahre lang, danach wird neu ausgewählt.
Sie ist Geschäftsführerin der Gefyra GmbH, eines Tochterunternehmens der DMI Gruppe. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren bei HL7 Deutschland e. V.; dort betreut sie als Leiterin des Technischen Komitees für FHIR® die Deutsche Nutzergemeinschaft und ist Mitglied des Vorstands. Als Beraterin und Trainerin von über 100 Unternehmen im deutschen Gesundheitswesen kennt sie die Sorgen und Nöte der Industrie bei der Umsetzung komplexer Interoperabilitäts-Spezifikationen genau.
Simone Heckmann: Ich empfinde meine Ernennung in den Expertenrat als große Ehre. Ich freue mich darauf, die Unternehmen in Deutschland künftig mit einem „längeren Hebel“ bei der Beseitigung von Problemen, die eine erfolgreiche Digitalisierung in Deutschland immer wieder ausbremsen, unterstützen zu können.
Heckmann: Die FHIR®-Community ist sehr kommunikativ und enthusiastisch. FHIR®-Implementierer*innen sowie -Spezifizierer*innen aus aller Welt stehen über eine internationale Chatplattform stets im Austausch, um sich gegenseitig zu unterstützen, Fragen zu klären, Probleme zu lösen, Tools zu entwickeln, zu verbessern und zu debuggen. Das ist der ideale Nährboden für Interoperabilität!
Heckmann: An die Entwickler*innen sollten wir bei allen Vorgaben denken! Mit ihnen entscheidet sich, ob die Projekte klappen. Technologien, Fristen, Spezifikationen, Tools – mit all diesen Elementen müssen die Entwickler*innen die Lösungen umsetzen und lauffähig machen. Sie haben sich darum zu kümmern, dass die Anwender*innen benutzerfreundliche Applikationen bekommen, und sollten dabei keine Kompromisse machen müssen, wegen zu knapper Fristen oder zu hoher Arbeitsbelastung. Das bedeutet: Wir müssen den Entwickler*innen entgegenkommen, wir müssen sie gelungene Software entwickeln lassen! Zufriedene Anwender*innen – sie hängen von den Entwickler*innen ab.
Heckmann: Deutschland liegt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens im internationalen Vergleich weit zurück. Die Idee, jetzt mit Vollgas voranzupreschen und Versäumtes aufzuholen ist verlockend, kann aber fatal enden, wenn man dabei die Implementierbarkeit aus dem Blick verliert. Das ist besonders wichtig vor dem Hintergrund des eklatanten Fachkräftemangels. Das eRezept liefert hier ein herausragendes Beispiel: komplexe Spezifikationen, knappe Fristen, wenig Personal … das führt zu hohen Kosten und verpassten Fristen.
Heckmann: Im Einklang mit meinem Appell ist es mein Ziel, den Entwickler*innen in der Industrie – die letztlich die Pläne zur Digitalisierung des Gesundheitswesens in funktionsfähige Anwendungen gießen müssen – endlich eine gewichtige Stimme am Tisch zu geben. Wir wollen Hürden bei der Implementierung aus dem Weg räumen und lösungsorientierte, praxisnahe Entscheidungen herbeiführen. Ich möchte technologische Konvergenz schaffen und lege Wert auf eine konsequente Wiederverwendbarkeit von Artefakten über verschiedene Digitalisierungsprojekte hinweg. Nur so bleiben Aufwand und Kosten für die Umsetzung dieser Projekte im Rahmen.
Mangelnde Koordination im regulatorischen Bereich darf nicht länger auf dem Rücken von Softwareentwickler*innen und auf Kosten der Anwender*innen ausgetragen werden.
Es reicht nicht mehr, einfach nur noch mehr Spezifikationen zu schreiben. Interoperabilität muss weiter gedacht werden: zum Beispiel durch Infrastruktur für die zentrale Bereitstellung der vielfältigen eingesetzten Terminologien, Open-Source-Bibliotheken, Test-Tools, Referenz-Implementierungen, abgestimmte Konvertierungs-Routinen ...
In diesem Gremium können wir nun den Finger in die Wunde legen, die durch ständig neue, inkompatible Spezifikationen immer wieder aufgerissen wird. Darum habe ich die Aufgabe angenommen.
Simone Heckmann
Geschäftsführerin der Gefyra GmbH und Leiterin des Technischen Komitees FHIR® sowie Vorstandsmitglied HL7 Deutschland und Mitglied des Nationalen Expertengremiums für Interoperabilität
Gefyra GmbH – Interoperabilität als Markenzeichen
Die Geschäftsführerin Simone Heckmann weiß: „Der HL7 FHIR®-Standard bietet zukunftsweisende, sichere Lösungen für die Architektur von interoperablen, herstellerunabhängigen hochstrukturierten Systemen.“ Die FHIR®-Expertinnen und -Experten der Gefyra GmbH vereinen jahrelanges Engagement bei der Entwicklung des FHIR®-Standards sowie internationale Erfahrung bei der Durchführung von FHIR®-Schulungen und -Workshops mit dem Praxiswissen aus zahlreichen Kundenprojekten. Heute bietet die Gefyra GmbH vor allem Training, Beratung, Projektbegleitung und Expertise für die Implementierung von Integrationstechnologien in Krankenhäusern – immer im Vordergrund: der FHIR®-Standard und der Übergang zu modernen und standard-konformen Kommunikationsformen und Datenhaltungs- sowie -verarbeitungsmöglichkeiten.